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„Es bringt nichts!“

verschiedenfarbige spielsteine strategisch zusammengelegt

Wenn Gender-Training nicht strategisch in Gender-Mainstreaming-Prozesse eingebunden werden

 

Seitdem ich vor fast 25 Jahren, im Anschluss an ein Forschungsprojekt des Berliner Senates zum Verhalten von Männern in Reaktion auf  Fördermaßnahmen,  das  erste Training zum Thema Chancengleichheit von Männern und Frauen durchführte , habe ich viele Erfahrunge  dazu sammeln können, was beim Gender-Training funktioniert und was nicht.
Mit diesem Beitrag möchte ich aufzeigen, welchen Effekt es hat, wenn Gender-Trainings nicht  strategisch in Gender-Mainstreaming-Prozesse integriert werden: Ich habe hierauf bereits im Rahmen eines Vortrags bei der Europäischen Konferenz „Advancing Gender Training to Support Effective Gender Mainstreaming“ hingewiesen, die vom 13. bis 14. November 2012 im litauischen Vilnius stattfand und an der ich im Namen der Heinrich-Böll-Stiftung teil nehmen konnte . 
Um die entsprechenden Konsequenzen aus dieser Feststellung zu ziehen, werde ich aufzeigen, wie Gender-Training funktioniert und anschließend zur Erläuterung der Qualitätsstandards übergehen, die wir bei Gender Diversity – Fachverband für genderkompetente Bildung und Beratung e.V. entwickelt haben. Ich war Gründungsvorsitzender dieser Organisation.

 

A. Die Umsetzung von Gender-Mainstreaming in Europa ist unzureichend
Obwohl seit dem Vertrag von Amsterdam 15 Jahre vergangen sind, hat kein europäisches Land Gender-Mainstreaming in angemessener Weise umgesetzt. Hierbei handelt es sich nicht nur um meine persönliche Einschätzung, auch Virginija Langbakk, die Leiterin des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (European Institute for Gender Equality, EIGE), beurteilte die Lage anlässlich der EIGE-Konferenz in Brüssel im November 2011 ähnlich. Wenngleich es klare Unterschiede bei der Umsetzung in den einzelnen Ländern gibt, stehen wir angesichts der weit gesetzten Ziele im Gender-Mainstreaming immer noch ganz am Anfang. Woran liegt das?

1. Begrenzte und unattraktive Ziele
Laut Daniela Bankier, Leiterin der Abteilung für Gleichstellung von Männern und Frauen der Generaldirektion Justiz, besteht das Hauptziel der Europäischen Kommission im Bereich Gender-Mainstreaming für den Zeitraum 2011 bis 2015 darin, die Beschäftigungsquote der Frauen von 62 auf 75 Prozent zu erhöhen. Dies ist ein wichtiges und ehrgeiziges Ziel, aber Gender-Mainstreaming wäre weitaus erfolgreicher, wenn es umfassende und integrierende Absichten verfolgte und sich nicht auf Ziele, wie die Erhöhung der weiblichen Beschäftigungsquote, beschränkte.

2. Die EU übernimmt keine Vorreiterrolle bei der Führung ihrer eigenen Organisationen bzw. bei der Bereitstellung von Finanzierungen
Dieser Punkt bedarf eigentlich keiner weiteren Erläuterung, ich will dennoch ein Beispiel nennen: Eine meiner spanischen Kolleg_innen wies mich kürzlich darauf hin, dass in den Leistungsbeschreibungen vieler EU-Ausschreibungen (Terms of References, TOR), Gender-Trainings zwar vorgeschrieben werden, ihre Ausgestaltung aber nicht näher definiert wird – abgesehen von der Vorgabe, dass sie in Vier-Sterne-Hotels stattfinden sollten.

3. Die EIGE kann weniger Unterstützung bieten als gehofft
Obwohl das Europäische Parlament bereits im Jahr 2006 die Einrichtung des EIGE beschlossen hatte, dauerte es noch ziemlich lange, bis die Organisation im Jahr 2010 schließlich ihre Arbeit aufnahm, wie uns Barbara Limanowska von EIGE vergangenes Jahr in Brüssel erinnerte. Datenerhebungen und die Entwicklung von Best Practices sind zwar wichtig, aber das EIGE ist nicht in der Lage, politische Initiativen anzustoßen. Meines Erachtens wäre es sehr viel wichtiger, die Europäischen Institutionen bei der Umsetzung von Gender-Mainstreaming zu beraten. Die Unterstützung und Beratung der Regierungen und Institutionen ist eine Pflichtaufgabe, der das EIGE bislang nicht nachgekommen ist. Tatsächlich scheint das EIGE auch nur geringen Einfluss auf die Entwicklungen innerhalb der EU zu nehmen. Dies hat dazu geführt, dass in Deutschland einige der Genderexpert_innen unter uns die Organisation als „zahnlosen Tiger“ betrachten.

4. Konzentration auf Top-down-Ansätze führt zur Vernachlässigung von Organisationsentwicklung und Bottom-up-Strategien
Zu Beginn des Gender-Trainings und auch zu einigen anderen Zeitpunkten sind Top-down-Ansätze sehr hilfreich – ihre Bedeutung ist allgemein anerkannt. Es muss aber sichergestellt werden, dass der Fokus ab einem gewissen Zeitpunkt auf die Bottom-up-Ansätze umschwenkt, was die notwendigen Kräfte freisetzt, um einen echten Wandel hervorzurufen. Vor allem angesichts der Erkenntnis, dass die mittlere Führungsebene organisatorischen Veränderungen gegenüber besonders abgeneigt ist. Abgesehen hiervon haben wir aus der Forschung zur Organisationsentwicklung gelernt, wie schwierig es ist, Veränderungen einzuleiten. Manchmal erscheint die Führung von Organisationen sogar unmöglich: Sie kann also nicht allein durch Anweisungen der höchsten Führungsebene erreicht werden.

5. Konkurrenz zwischen Gender-Mainstreaming und Diversity-Management
Die Diskussion darüber, was Diversity im Kern ausmacht, erscheint zuweilen als Auseinandersetzung über die Kerndimension von Unterdrückung. Ich teile die Einschätzung, dass es verschiedene Akteur_innen, Formulierungen, theoretische Ansätze und politische Lobbygruppen gibt, doch aus diesen Unterschieden können wir Nutzen ziehen. Die Konkurrenz zum Diversity-Management muss ein Ende haben – es ist ein Konkurrenzkampf, der nicht gewonnen werden kann.

6. Männliche Experten werden nicht aktiv einbezogen
Wenig Erfolge zeigt weiterhin   die Einbeziehung männlicher Experten und die Ansprache männlicher Führungskräfte. Dies stellt besonders auf der Europäischen Ebene ein Problem dar. Wenn uns dies nicht gelingen sollte, wird Gender-Mainstreaming ein Frauen-Thema bleiben, solange Männer auch künftig nicht vernünftig einbezogen oder sogar ausgeschlossen werden. Auch diesem Thema gilt mein großes Interesse.

Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für das Gender-Training?
B. Gender-Training darf nicht als Notbehelf oder Ersatz für einen konsistenten strategischen Wandel zur Gleichstellung der Geschlechter dienen
Aktuell dient Gender-Training oft als symbolische Maßnahme zur Legitimierung eines fehlenden organisatorischen Wandels. Teilnehmer_innen der unteren Ebenen der Organisationen werden zu kurzen Trainingskursen geschickt; mit enttäuschendem Ausgang, was dann als Argument dafür angeführt wird, dass keine nachhaltigen Ergebnisse erzielt werden.
Bei der ersten EIGE-Konferenz im vergangenen Jahr in Brüssel, bezeichnete Barbara Limanowska, hochrangige Sachverständige für Gender-Mainstreaming und Bereichsleiterin am EIGE, Gender-Training als die zentrale Methode für Gender-Mainstreaming. Solche Trainings müssen allerdings sehr spezifisch sein und sich an der Arbeit der jeweiligen Teilnehmenden orientieren. Eigentlich stehen unzählige Handbücher und Checklisten zur Verfügung, doch ein Großteil dieser verschwindet einfach in irgendwelchen Schreibtischschubladen. Auch ein großes Forschungsvorhaben namens Quing wurde bis 2011 überall in Europa umgesetzt und konzentrierte sich ebenfalls auf das Thema Gender-Training .

Doch welche Ergebnisse erzielt all diese Forschung?
C. Effektives Gender-Training ist Teil einer umfassenden und integrierten Strategie für eine gleichstellungsorientierte Personal- und Organisationsentwicklung
Es ist keine neue Erkenntnis, dass erfolgreiches Gender-Training in die Strategien zur Organisationsentwicklung integriert werden sollte. So steht es eindeutig in jedem Trainingshandbuch, egal für welchen Bereich. Wie dies erreicht wird, soll im Folgenden anhand von erfolgreichen Beispielen aus der Praxis erläutert werden, in diesem Fall dem Personalentwicklungsprogramm der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Das Programm ist einer der Bestandteile der umfassenden Strategie zur Geschlechterdemokratie, wie die Stiftung sie bezeichnet. Seit mehr als zehn Jahren ist der Erwerb von Gender-Kompetenz für alle Mitarbeiter_innen der Heinrich-Böll-Stiftung verpflichtend und alle neuen Angestellten durchlaufen ein besonderes Gender-Pflichttraining. Außerhalb Deutschlands veranstalten die meisten Büros der Stiftung in regelmäßigen Abständen Gender-Workshops und das Instrument der gender-orientierten Projektplanung (GOPP) legt fest, wie Projekte umgesetzt werden müssen. Auf welche Weise diese Bestrebungen in den Arbeitsalltag der Stiftung zu integrieren sind, steht von Beginn des Qualifizierungsprogramms an fest. Alle Teilnehmenden sind aufgefordert Ziele zu formulieren, die im Rahmen des Programms erreicht werden sollen. Diese Ziele müssen mit den für die teilnehmenden Mitarbeiter_innen Verantwortlichen aus der mittleren Führungsebene im Rahmen von Personalentwicklungsgesprächen vereinbart werden.

D. Entwicklung von Qualitätsstandards für ein effektives Gender-Training durch den Fachverband für genderkompetente Bildung und Beratung e.V.
Die ersten beiden unserer Standards widmen sich den Abschnitten B und C dieses Artikels:
1. Qualifiziertes Gender-Training sollte mindestens sechs Stunden beanspruchen. Es wird empfohlen, das Training über einen Zeitraum von anderthalb bis zwei Tagen durchzuführen.
2. Um Gender-Training nachhaltig zu gestalten:
a) bedarf die betreffende Organisation einer geschlechterpolitischen Strategie mit gendergerechten Zielen
b) muss die oberste Führungsebene zumindest in die Festlegung der Trainingsziele einbezogen werden
c) sollten alle Mitglieder der Organisation über die Ergebnisse des Trainings informiert werden

E. Die Qualitätsstandards umfassen vier Kriterien hinsichtlich der im Gender-Training genutzten Methoden:
3. Ein professionelles Training mit vielen praktischen Übungseinheiten sollte bei einer Teilnahme von mehr als 15 Personen von zwei Trainer_innen geleitet werden. Besteht die Absicht durch das Training einen strategischen Gender-Mainstreaming-Prozess in Gang zu setzen, empfiehlt es sich, mit einem Trainer und einer Trainerin zu arbeiten, um von Beginn an die Gleichstellung der Geschlechter zu veranschaulichen.
4. Individuelle Reflektion zur Erlangung von Eigenwahrnehmung sowie theoretischer Input sind notwendige Aspekte des Gender-Trainings. In einem dritten Schritt müssen diese Grundlagen auf die Arbeit der Teilnehmenden und ihr tägliches Verhalten übertragen werden. Individuelle Reflektion ermöglicht zu lernen und sich Neuem gegenüber zu öffnen, auch wenn Lernen natürlich gleichzeitig eine Frage der persönlichen Motivation ist.
5. Während des Gender-Trainings sollten die Geschlechterbeziehungen innerhalb der teilnehmenden Organisation untersucht und Verbesserungsstrategien erarbeitet werden. Die abweichenden Erfahrungen von Männern und Frauen am Arbeitsplatz sowie zu Hause müssen ebenfalls untersucht werden.
6. Mit Männern und Frauen in getrennten Gruppen zu arbeiten, ist ein guter Weg, um die Geschlechtsstereotypen zu diskutieren, die 'de-konstruiert' werden sollen.

F. Schließlich umfassen die Qualitätsstandards ein Zertifizierungsverfahren für Sachverständige in Gleichstellungsfragen sowie eine Zusammenstellung der Maßstäbe, die zur nachhaltigen Ausrichtung des Gender-Trainings beitragen.
7. Gendertrainer_innen müssen erfahrene Übungsleiter_innen bzw. Berater_innen sein und eine professionelle Ausbildung durchlaufen haben. Ähnliche Berufserfahrungen sollten nachgewiesen werden können. Alternativ besteht die Möglichkeit, bei Gender Diversity - Fachverband für genderkompetente Bildung und Beratung e.V. einen entsprechenden Kurs zu absolvieren oder ein Zertifikat zu erwerben.

Durch die Einhaltung dieser Standards können wir sicherstellen, dass Gender-Trainings eine wichtige Rolle innerhalb eines umfassenden Gender-Mainstreaming-Prozesses einnehmen.